Es gilt heute vielerorts als Best Practice, dass in Software-orientierten Umgebungen mit agilen Methoden gearbeitet wird: Eigenverantwortliche Teams schaffen in raschen Inkrementen Geschäftsnutzen, dabei orientieren sie sich an einer gemeinsamen Vision und sie gehen geschickt mit Änderungen um. Es wäre nun gefährlich, die Agilität ausschliesslich den «Techies» zu überlassen, denn die Einstellung «Software: agil – Business: stabil» führt zu Missverständnissen und Reibungsverlusten aufgrund unterschiedlicher Denk- und Vorgehensweisen. Es ist deshalb erforderlich, das agile Denken und Handeln in einen unternehmensweiten Kontext zu stellen. Ein Unternehmen erhält dadurch die Wendigkeit welche ermöglicht, souverän mit ändernden Anforderungen umzugehen und auf natürliche Art Kundennähe zu leben.

 

Zwei Arten von Business-Agilität

  • Wenn man von «Agilität» spricht, ist damit meist implizit die Innovations-Agilitätgemeint – die Befähigung zu raschen Anpassung an neue Anforderungen und zum Umgang mit Komplexität stehen im Vordergrund. Hier sind Kreativität, vernetztes Denken, kontrollierte Experimente sowie viele kleine Schritte hin zu einer gemeinsamen Vision wichtig.
    In mancher Unternehmung wird die Innovations-Agilität in zunehmenden Masse erfolgreich angewandt, doch sie ist meist nur auf einzelne Teams beschränkt. Die Skalierung auf viele (unterschiedliche) Teams oder die agile Vernetzung verschiedener Teile der Organisation zum Abbau funktionaler Silos befindet sich jedoch noch in den Anfängen. Dazu sind verschiedene Konzepte und Lösungsansätze verfügbar. Egal, ob diese Holacracy, SAFe oder LeSS heissen – wichtig ist, dass diese nicht mit religiösem Eifer verfolgt werden, denn jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden.
  • Zunehmend rückt die Betriebs-Agilität in den Fokus des Interesses. Hier geht es um die geschickte Organisation des «Normalbetriebs», damit die Teams nahe beim Kunden befähigt werden, souverän und eigenverantwortlich mit den unvermeidbaren Störungen und betrieblichen Herausforderungen umzugehen.

So erfolgt z.B. der Betrieb der Bergbahnen in der Weissen Arena Laax seit dem Winter 2016/17 nach den Prinzipien der Betriebs-Agilität. Die verschiedenen Teams für Bahnbetrieb, Piste, Sicherheit oder Technik sprechen sich direkt untereinander ab und sie fällen viele betriebliche Entscheide eigenverantwortlich. Dies führt nicht nur zu mehr Kundennähe und rascheren Entscheidungen, es sind auch weniger «Chefs» notwendig.

Agile Entwicklung durch Regeln, Rollen, Reden

Echte Business-Agilität erfordert neue Denkhaltungen und Prinzipien, welche ein Unternehmen und die betroffenen Personen nur in einem eigenen Entwicklungsweg erlangen können. Dieser Prozess kann zugegebenermassen manchmal auch mühsam sein, dies gilt insbesondere für die heutigen Führungskräfte: Die Entwicklung vom Chef oder Patron zum Servant-Leader erfordert auch das Loslassen – das ist manchmal schwieriger als das Zupacken!

Die eindimensionale Einführung von agilen Praktiken und Hilfsmitteln schadet somit mehr als dass sie nützt. Die Praxis hat gezeigt, dass für einen erfolgreichen Entwicklungsweg drei R besonders wichtig sind: Regeln, Rollen und Reden.

Regeln

Ein Kreisverkehr ist der sichtbare Beweis, dass durch dezentrale Organisation ein höherer Durchsatz erreicht wird als mit zentraler Steuerung. Er funktioniert aber nur dann, wenn sämtliche Verkehrsteilnehmer die Regeln kennen und diese auch einhalten. Selbstorganisation ist nur mit einem funktionierenden Regelwerk möglich.
Am besten werden die gemeinsamen Regeln durch die betroffenen Teams selbst erarbeitet. Danach ist es wichtig, dass alle Beteiligten die Regeln kennen und auch einhalten – dabei ist insbesondere auf neu eintretende Mitarbeitende zu achten. Sind Regeln in der Praxis nicht einhaltbar oder sinnvoll, hat sich das Prinzip comply or explain bewährt. Diese Transparenz hilft auch, die Regeln bei Bedarf anzupassen und so die Zusammenarbeit weiter zu entwickeln.

Rollen

In einer agilen Umgebung kommt die Organisation der Arbeit vor der Organisation von Menschen. Dabei müssen Organigramme nicht zwingend abgeschafft werden, doch sie erhalten zumindest einen anderen Stellenwert. Um eine flexible Zusammenarbeit mit klarer Zuordnung von Verantwortungen zu erreichen, sind Rollenbeschreibungen ein zentrales Instrument. Es geht nicht darum, einfach die verschiedenen Aufgaben festzuhalten sondern vielmehr werden die Themen definiert, in denen ein Team oder eine Person Verantwortung übernimmt. Dies ermöglicht gelebte Leadership – diese ist jedoch an eine Rolle und nicht an einen Platz im Organigramm geknüpft. So ist es auch normal, dass eine Person mehrere Rollen einnehmen kann.

Reden

Keine Agilität ohne funktionierende Kommunikation! Die verschiedenen elektronischen Kommunikationskanäle sind zwar wichtig, doch letztendlich sind sie lediglich ein Werkzeug. Solche Werkzeuge sind zwar sichtbar, doch ohne den persönlichen Austausch nur beschränkt wirksam. Nur wer unterschiedliche Meinungen aktiv einbezieht, positiv mit Spannungen umgeht und Missverständnisse ehrlich anspricht ist in der Lage, gemeinsame Visionen und Werthaltungen zu erreichen – es ist die Voraussetzung, eine echte Agilität zu leben. Das macht letztendlich auch den Unterschied, ob sich ein Unternehmen mit doing Agile begnügt oder ob es being agile leben will.