Viele Führungskräfte und Mitarbeitende sind es bereits seit einiger Zeit gewohnt, sich an einem Tag pro Woche in ihr Home Office zurückziehen. Hier arbeiten sie in Ruhe an Konzepten, studieren Akten oder redigieren Berichte. Wenn nun ganze Teams, Abteilungen oder gar Firmen fast ausschliesslich in ihren Home Offices arbeiten, stellt dies Führungskräfte vor ganz neue Herausforderungen: Wir sind uns zwar die alleinige «remote Arbeit» gewohnt, doch nun gilt es, die «remote Zusammenarbeit» zu etablieren und zu entwickeln.

Den Sinn vermitteln

Die Stärke vieler Führungskräfte liegt darin, das Gespür für die notwendigen Aufgaben zu haben, diese zu priorisieren und zu delegieren. Wenn man sich nicht mehr regelmässig sieht, kann dieses Gespür schnell beeinträchtigt werden und was sich bisher bewährte, funktioniert nicht mehr.

Für die Arbeit in verteilten Teams ist es entscheidend, den Sinn und Zweck des Teams sowie den Blick fürs grosse Ganze zu vermitteln:

  • Warum sind wir hier?
  • Warum werden wir gebraucht?
  • Wer braucht uns?
  • Woran merken wir, dass wir gute Arbeit leisten?

Diese konsequente Ausrichtung an der übergeordneten Bestimmung ermöglicht die umfassende Delegation von ganzen Verantwortungen statt einzelner Aufgaben. Wenn sich Mitarbeitende persönlich in der Verantwortung für «ihr» Thema fühlen, agieren sie aktiver und kreativer. Sie definieren die dafür notwendigen Aufgaben selbständig und leisten so mit grosser Autonomie ihren Beitrag an den gemeinsamen Sinn. Dabei ändert sich auch die Rolle der Führungskraft: statt Vorgaben zu machen, agiert sie als Mentor und als Sicherheitsnetz. Diese neue Zusammenarbeit erfordert eine Angewöhnung von beiden Seiten, doch es ist immer wieder erstaunlich, wie rasch dies geht!

Eine bewusste Beziehungsarbeit pflegen

Wenn wir uns nicht mehr sehen, kommt der Beziehung der Führungsperson zu den Mitarbeitenden aber auch der Beziehung der Mitarbeitenden untereinander eine entscheidende Bedeutung zu.

So paradox es klingt: Vorgesetzte müssen gerade in verteilten Teams «sichtbarer» werden. Nur wenn alle spüren «was hier vorgeht», entsteht das Zugehörigkeitsgefühl zum grossen Ganzen. Es genügt nicht mehr, nur über Sachthemen zu sprechen. Führungskräfte müssen vermehrt und bewusst auch Befindlichkeiten aktiv ansprechen und mit Unsicherheit und Ängsten umgehen – sowohl mit den eigenen wie auch mit denjenigen der Mitarbeitenden!

Eine Möglichkeit zur Pflege der Zusammenarbeit im Team sind regelmässige Team-Retrospektiven: Hier schaut man gezielt zurück auf die Kultur und Vorgänge im Team:

  • Wie arbeiten wir zusammen?
  • Was läuft gut – was hindert uns – worüber mache ich mir Sorgen?
  • Was könnte uns helfen, die Zusammenarbeit zu verbessern – in unserem Team / mit anderen Teams?
  • Welche Verbindlichkeiten und Regeln geben wir uns?

Diese «Arbeit an der Zusammenarbeit» ist eine Investition, welche sich auf jeden Fall auszahlt.

Eine strukturierte Kommunikation fördern

Viele haben nach den ersten Tagen im Home Office bemerkt, wie viel Kom­munikation unbewusst abläuft: Man nimmt Teile von Telefonaten wahr, sieht sich beim Kaffee, trifft sich zum Mittagessen oder schaut kurz in einem anderen Büro vorbei. Tempi passati! Es ist deshalb sehr hilfreich für die verteilte Zusammenarbeit, wenn wir die Kommunikation bewusst strukturieren.

Neben der Definition von Zeiten, an denen wir füreinander ansprechbar sind, ist die Einführung eines gemeinsamen Kommunikations-Takts am wirkungsvollsten:

Kurze tägliche Check-ins: Synchronisation der Arbeit, Befindlichkeiten spüren, Zusammenhalt stärken (virtuelle Kaffeepause)

Wöchentliche taktische Absprachen: Erkennung und Beseitigung von Hindernissen, taktische Vorgehensplanung kommende Woche

Die optimale Häufigkeit und Dauer gibt es nicht – es braucht Mut zum Experimentieren!

Für Meetings mit verteilten Teilnehmenden braucht es verbindliche Regeln.

  • Klares Ziel zu einem konkretem Thema.
    – Sammlung von Ideen?
    – Fragen klären?
    – Verbindung schaffen? Austauschen?
    – Entscheiden?
  • ModeratorIn bestimmen mit folgenden Aufgaben:
    – Sicherstellen des gemeinsamen Fokus,
    – Verfolgung des Ziels
    – Beiträge der Teilnehmenden rundherum einzeln abfragen
    – Sitzung abrunden: Ergebnisse zusammenfassen und weiteres Vorgehen definieren
  • Kommunikationsgrundlagen
    – Sprechende ausreden lassen
    – Eigenen Beitrag ankündigen (per Handzeichen, im Chat)
    – Augen(Kamera)-Kontakt halten, sich nicht ablenken lassen

Hilfreich ist ein kurzes Check-in, um den gemeinsamen Kontext für das Meeting zu schärfen.

Die Arbeit sichtbar machen

Schon vor Zeiten des Home Office wurde immer mehr unserer Arbeit virtuell, d.h. nicht mit den Händen greifbar oder gar unsichtbar. Gerade wenn man sich nun auch nicht mehr regelmässig sieht gilt es, die Arbeit sichtbar zu machen. Ein bewährtes Mittel dazu sind Kanban-Boards: Mit Karten werden die Arbeiten, der Workflow und der Fortschritt visualisiert. Gleichzeitig hat man auch ein Hilfsmittel für die Priorisierung und um das Multitasking zu verringern. Es versteht sich von allein, dass ein solches Kanban-Board online verfügbar sein muss, doch dazu gibt es Tools wie z.B. Trello, Asana oder Clubhouse.

Vom Manager zum Leader

Die Führung von verteilten Teams ist einiges anspruchsvoller als die Führung vor Ort. Die Rolle der Führungskräfte hat sich verschoben von der Arbeitsverteilung und Koordination hin zur Vermittlung von Sinn und Zusammenhalt. Es braucht Mut zu Experimenten und zu einem gemeinsamen Lernprozess für neue Formen der Zusammenarbeit – die Führungskraft ermöglicht und unterstützt dabei als Coach, nicht als Experte.
Und noch etwas: Diese Art der Zusammenarbeit gelingt nur dann, wenn wir einander Vertrauen schenken. Dazu gibt es nach einem Zitat von Ernest Hemingway eine einfache Methode: «Der beste Weg herauszufinden, ob man jemandem vertrauen kann, ist ihm zu vertrauen.»